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Mineralwolleindustrie e.V.

Rebound-Effekt oder: Warum Geringverdiener die wahren Energiesparer sind

Werner Müller, Universität Bremen, Institut Technik und Bildung (ITB)

Werner Müller, Uni Bremen, ITB
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Werner Müller, Uni Bremen, ITB

„Energieeffizienz ist die Voraussetzung für eine erfolgreiche Energiewende“, so lautet einer der wenigen allgemein anerkannten Grundsätze im Bereich Energie und Klimaschutz. Dass mehr Effizienz Synonym für Ökologie, Nachhaltigkeit und Kosteneinsparung steht, verschafft diesem Konzept zusätzlich Zustimmung. Neben der Förderung von erneuerbaren Energien steht deshalb Energieeffizienz ganz oben auf der Energiewende-Agenda der Bundesregierung.

Energieeffizienz bedeutet, dass ein bestimmter Nutzen, z.B. eine bestimmte Raumtemperatur, mit einem möglichst geringen Energieeinsatz erreicht wird. Eine sparsamere Technologie oder ein besserer Wärmeschutz von Gebäuden senken also den Energiebedarf. Logisch, oder etwa nicht?

Zweifel kamen schon Mitte des 19. Jhds. dem englischen Ökonom und Philosophen William Stanley Jevons. Er hatte entdeckt, dass gerade nachdem die neuen, vergleichsweise hocheffizienten Watt’schen Dampfmaschinen eingeführt worden waren, der Kohleverbrauch im Königreich nicht gesunken, sondern ganz im Gegenteil rasant angestiegen war. Diesem paradoxen Umstand gab er den Namen „Rebound-Effekt“ (für Rückprall) und fragte in seinem Buch „The coal question“ wie das möglich sein konnte.

Technik + Mensch = Sozio-Technik

Rebound bezeichnet also den Umstand, dass das Einsparpotenzial von Effizienzsteigerungen in der Praxis nur teilweise verwirklicht wird oder im Extremfall sogar einen Mehrverbrauch auslöst. Warum das so ist, wird deutlich, wenn wir uns vor Augen halten, dass es Menschen sind, die über die Nutzung von Technik bestimmen. Womit u.a. psychologische und soziale Faktoren ins Spiel kommen.

Das zeigt sich zuerst darin, dass wir dazu neigen, effizientere Technologien laxer und häufiger zu nutzen: Mit Energiesparlampen wird mehr, länger und heller beleuchtet, Autos mit sparsamen Antrieben werden größer, schwerer, und mehr Kilometer gefahren, in gut gedämmten Gebäuden mit effizienten Heizungsanlagen wird stärker und nachlässiger geheizt. So kommt eine Studie aus Japan zum Ergebnis, dass Käufer kraftstoffsparender Hybrid-Autos ein Jahr nach der Anschaffung durchschnittlich die 1,6-fache Strecke zurücklegen als zuvor.

Wissenschaftler bezeichnen solche Nutzungsänderungen infolge Effizienzsteigerung heute als direkte Rebounds (oder Micro-Effects). Daneben lassen sich noch einige weitere Kategorien unterscheiden: Materielle Rebounds umfassen z.B. die Tatsache, dass mehr Effizienz häufig nur mit einem erhöhten Einsatz an Material und Energie in Produktion, Installation und Entsorgung erreicht wird – siehe Polystyrol-WDVS. Aber auch Infrastrukturen müssen etwa infolge zunehmender Nutzung ggf. erweitert oder angepasst werden (z.B. Straßenbau, Verkehrsleitsysteme). Beim finanziellen Rebound dagegen geht es um die Frage, was wir mit den eingesparten Sprit-, Strom- oder Heizkosten eigentlich machen? Wenn sinkende Nebenkosten zu mehr Konsum und Flugreisen führen, bleibt unterm Strich meist nicht mehr viel Einsparung.
Cross-factor-Effekte wiederum sind sich überlagernde Effekte. So verstärkt etwa eine insgesamt steigende Arbeits- und Kapitalproduktivität den Druck auf weitere Mechanisierung, Automatisierung, schnellere Mobilität etc. Womit wiederum der Bedarf an Energie wächst.

Effiziente Technologien – viel Aufwand, begrenzter Erfolg

Will man Rebounds quantifizieren, wird zunächst deutlich, dass es große Unterschiede je nach Einkommen, sozialem Status, Normen, aber auch Anwendungsfeld gibt. Internationale Vergleichsstudien zeigen auch, dass in sich wirtschaftlich dynamisch entwickelnden Schwellenländern direkte Rebound-Effekte mit 42% bis 80% deutlich stärker sind, als in den USA oder Europa.

Beim privaten Verkehr in Deutschland wurde ein durchschnittlicher Gesamtrebound zwischen 57% und 62% berechnet. Andere wiederum haben festgestellt, dass zwischen 1970 und 1991 die Energieeffizienz in den USA und sechs EU-Staaten um rund 30%, der Energiebedarf um rund 20% gestiegen ist. Im Mittel wurden also zwei Drittel der Effizienzsteigerung durch Rebounds kompensiert.

Geld scheint bei alldem eine zentrale Rolle zu spielen. Da wäre zunächst unsere subjektive Wahrnehmung der Energiepreisentwicklung. Sind steigende Preise Thema in den Medien verhalten wir uns anders, als bei gefühlter Stagnation. Recht eindeutig ist der Zusammenhang zwischen frei verfügbarem Einkommen und den Kosten für Energie: Geringverdiener sind die wahren Energiesparer. Sie haben kleinere Wohnungen, weniger Autos, fliegen seltener in den Urlaub, müssen sich bei Anschaffungen eher zurück halten.

Wer jetzt noch an Rebound-Effekten zweifelt, mag einen Blick in die Technikgeschichte werfen: Seit Menschengedenken werden immer effizientere Technologien entwickelt – doch nie ging deshalb der Energieverbrauch zurück, sondern wuchs, ganz im Gegenteil mit zunehmender Technisierung schneller als die Bevölkerungszahl zunahm.

Hierbei handelt es sich jedoch nicht um ein Naturgesetz. Vielmehr sind es gesellschaftliche Werte, die unser Tun und Lassen bestimmen. Solange aber Sachwerte und Prestige eng gekoppelt bleiben, gibt es wenig Grund auf Änderung zu hoffen.

Literatur

JENKINS, J./ NORDHAUS, T./ SHELLENBERGER, M. (2011): Energy Emergence: Rebound and Backfire as Emergent Phenomena. Oakland, C.A. The Breakthrough Institute. Online: http://thebreakthrough.org/blog/Energy_Emergence.pdf

MEYER-OHLENDORF, N./ BLOBEL, D. (2008): Untersuchung der Beiträge von Umweltpolitik sowie ökologischer Modernisierung zur Verbesserung der Lebensqualität in Deutschland und Weiterentwicklung des Konzeptes der Ökologischen Gerechtigkeit: Hauptstudie – Modul 1-3. Umweltforschungsplan des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Wirtschafts- und sozialwissenschaftliche Umweltfragen. Die Studie zum Download finden Sie auf der Seite des Ecologic Instituts: http://www.ecologic.eu/de/2455

HUPFER, C. (2012): Textbeitrag zum Film „Beschleunigte Welt“. 3sat, 19.7.2012. Online: http://www.3sat.de/page/?source=/wissenschaftsdoku/sendungen/163723/index.html

DEUTSCHER BUNDESTAG (2013): Schlussbericht der Enquete-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität – Wege zu nachhaltigem Wirtschaften und gesellschaftlichem Fortschritt in der Sozialen Marktwirtschaft“. Schlussbericht. 17. Wahlperiode; Drucksache 17/13300 ; 03.05.2013. Online: http://www.bpb.de/shop/buecher/schriftenreihe/175745/schlussbericht-der-enqu ete-kommission

BINE INFORMATIONSDIENST, Nutzerverhalten bei Sanierungen berücksichtigen, Ausgabe 2/15
Online: http://www.bine.info/publikationen/projektinfos/publikation/nutzerverhalten-bei-sanierungen-beruecksichtigen/

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